Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss, heißt es, doch ist dem wirklich so? Oder gleicht das Leben eher einem aufgeregten Fließgewässer mit Stromschnellen und Wasserfällen? Vielleicht nehmen wir den Fluss unseres Lebens auch ausgetrocknet und verdorrt wahr und fühlen, dass unsere Lebenssäfte kurz vor dem Versiegen sind. Stellen mit Bedauern fest, dass alles Lebendige dabei ist auszusterben, dass die Liebe und das Miteinander im kühlen, modrigen Grund versacken? Fragen uns vielleicht, ob unser Leben grundsätzlich in einem künstlich erschaffenen Flussbett dahinplätschert, in dem Wassermenge und Fließgeschwindigkeit von anderen bestimmt werden? Und nehmen womöglich immer noch an, das all das, was geschieht, gar nichts mit uns selbst zu tun hat.
Die Welt in eine Dysbalance geraten und wir sind mittendrin. Der normale Fluss des Lebens stockt, wurde unterbrochen, abschnitten und beschränkt. Massive Barrieren liegen im Wege und verhindern das Dahinplätschern im Alltäglichen, so wie wir es gewohnt sind. Wir schauen ins Außen und sehen die Bedrohung. Wir spüren die Angst, die überall herrscht, nehmen das Chaos, die Unstrukturiertheit wahr und bedauern es. Wir suchen nach Lösungen, einem Weg, der aus der Krise führt und wollen so schnell wie möglich das Außen ändern, es richten, neu aufstellen, schönreden, ausmerzen und bekämpfen. Wir setzten all unsere Hoffnungen auf die Pferde, die uns andere vor die Haustür stellen. Doch gleichgültig, wie sehr wir uns bemühen, früher oder später werden wir feststellen müssen, dass sich das Außen nur dann ändern wird, wenn wir beginnen vor der eigenen Türe zu kehren, anstatt auf den Unrat der anderen zu schauen.
Von Kindesbeinen an werden wir dazu angehalten, mehr Wert auf das Außen zu legen, als in unsere Innenwelt hineinzuschauen. Und obwohl wir unseren Fokus auf das Außen richten, wissen wir es doch zumeist nicht wertzuschätzen. Wir nehmen es als selbstverständlich hin und treiben Raubbau mit ihm. Wissenden Auges schädigen wir unsere Umwelt, nehmen in Kauf, dass Tiere leiden, Menschen verhungern und in Kriegen ums Leben kommen. Wir leben in schädigenden Beziehungen, kommunizieren schlecht oder kaum, essen und trinken ungesund, schlafen wenig, lassen uns von Medien berieseln und manipulieren. Wir sehen dabei zu, wie wir uns selbst zugrunde richten und grenzen das Wissen darüber trotzdem aus. Wir verknüpfen es nicht mit dem, was uns widerfährt, was wir erleben und erst recht nicht mit dem Geschehen, das sich im großen Ganzen abspielt. Wir halten beharrlich daran fest, dass alles, was sich im Außen zeigt, aus sich selbst heraus geschieht und nichts mit uns selbst zu tun hat. Völlig selbstvergessen hoffen wir darauf, dass alles schon gut gehen werde, auch wenn wir nichts tun und weiterhin die Verantwortung für uns und unser Leben auf andere übertragen.
Vermutlich kennen Sie die Aussage: Innen, wie außen. Übertragen auf die derzeitige Situation bedeutet sie, dass wenn unsere äußere Welt aus den Fugen gerät, es unsere Innenwelt ist, die um Hilfe schreit. Das Chaos, auf das wir im Außen schauen, ist das Chaos, das in unserem Inneren herrscht. Es ist unsere Angst, unsere Bedürftigkeit und unsere Hilflosigkeit, der wir in dieser Zeit immer wieder begegnen. Es mag schmerzvoll und womöglich für den einen oder anderen schwer nachvollziehbar sein, doch die Dysbalance der Welt entspricht unserer eigenen Dysbalance. Wir sind aus den Fugen geraten und die Welt ist unser Spiegelbild.
Wir sind es gewohnt, alles von uns zu weisen, anderen den schwarzen Peter zuzuschieben. Es ist einfach und lenkt uns von uns selbst ab. Dieses Spiel spielen wir schon lange und werden es vermutlich noch lange spielen, wenn wir weiterhin massiv gegen das äußere Chaos ankämpfen, anstatt uns dem inneren Chaos zuzuwenden. Jahr für Jahr türmen wir die Dinge, die wir nicht anschauen wollen, in unserem Inneren auf und wundern uns, wenn unser Außen zunehmend aus dem Gleichgewicht gerät. Wir vergiften uns mit unserer eigenen Lieblosigkeit und fragen uns, wie es sein kann, dass die Welt zunehmend verroht. Wir selbst sind es, die die Welt im Innen und im Außen gestalten. Sie glauben das nicht? Ein Beispiel: Wenn Ihnen ein Mensch begegnet, der Ihrer Fürsorge und Pflege bedarf und Sie sich berufen fühlen ihm zu helfen, für ihn einzutreten, ihn zu schützen, für ihn das Wort zu ergreifen, sich vor ihn zu stellen, so spiegelt es nichts anderes als Ihr eigenes Bedürfnis nach aufgefangen, gehalten und geschützt werden. Sie selbst sehen ihre eigene Angst und Sie sind es, die einer liebevollen Umarmung und des Schutzes bedürfen. Um sich ihrer eigenen Bedürftigkeit nicht stellen zu müssen, lenken sie von sich ab und projizieren das ins Außen, nach dem Sie sich innerlich sehnen. Es ist ihr eigener Mangel, mit dem Sie immer wieder konfrontiert werden, so lange, bis Sie bereit sind, sich ihm zu stellen und für sich selbst einzustehen. Es sind nicht die anderen, die aus dem Lot geraten sind, sondern Sie selbst sind es, die um Standfestigkeit ringen.
Wenn wir uns wirklich bewusst werden – also die Zeilen nicht nur oberflächlich verstehen, sondern sie wirklich und wahrhaftig in uns wirken lassen – so werden wir in der Lage sein, jeden Stau, in den wir uns hineinmanövrieren, auch selbst wieder aufzulösen. Wenn wir auf allen Ebenen verstehen, dass das, was wir denken und leben, immer Auswirkungen auf die Gestaltung unserer Wirklichkeit hat und genauso zu uns zurückkehren wird, wie wir es aussenden, dann können wir den Kreislauf der Negativität durchbrechen. Wenn wir hingegen in Angst leben, so werden wir die Angst in unserem Umfeld verstärken und aufrechterhalten. Wenn wir Hass und Missachtung säen, ernten wir Hass und Missachtung. Leben wir hingegen in Frieden und Gleichmut, werden wir auch solchen erfahren. Werten wir uns selbst und andere ab, so werden wir die Selbstabwertung am eigenen Leibe spüren. Sind unsere Gedanken positiv, wohlwollend und liebevoll, so wird sich auch unser Umfeld harmonisch zeigen. Ach, denken Sie jetzt vielleicht, das ist doch ein alter Hut, das weiß ich bereits? Doch wenn dem so ist, dann frage ich Sie, warum leben Sie es dann nicht? Wenn alle, die sich dieses Wissen auf die Fahne schreiben, es auch leben würden, hätte die Welt dann derart aus dem Gleichgewicht geraten können? Wenn wir die gesamte Negativität der Menschheit zusammennehmen und uns vorstellen, dass alle Gedanken sich als schwarze Wolken am Himmel sammeln würden, so säßen die Menschen in einem tiefschwarzen Verlies, dass aus Trübnis, Not, Sorge, Hass und Angst gebaut ist. Doch stellen Sie sich vor, alle die, die diese Wolken mit ihrer Negativität befeuern, würden sich ihren eigenen Schatten zuwenden, sich ihnen stellen und diese durchdringen, was wäre dann? Welch großes Geschenk würde unser Miteinander und auch die Welt erfahren können, wenn alle Menschen sich ihrem Inneren zuwenden und sich von ihrer Negativität befreien würden. Dann könnte alles, was stockt, wieder in Fließen geraten, sich zu einem natürlichen Dahingleiten entwickeln, einem in Schönheit schwelgen, einem lebendigen, liebevollen Miteinander, das sich aus sich selbst heraus gestaltet. Es könnte ein Paradies auf Erden entstehen, eines, das aus der freudvollen Fülle jedes einzelnen Menschen genährt wird.
Das glauben Sie nicht? Haben Sie sich selbst je erlaubt, der eigenen Wahrheit ins Auge zu schauen, Ihren Schatten zu begegnen und Ihr Denken überprüft? Haben Sie es je versucht, Ihre eigene Wirklichkeit zu gestalten? Die Kraft der liebevollen Ausrichtung am eigenen Leibe erlebt? Haben Sie es sich jemals gestattet wirklich und wahrhaftig den Impulsen ihres Herzens zu folgen? Die Zeit ist überreif und es ist nie zu spät, um den Fluss des eigenen Lebens und somit den Lauf der Welt positiv zu beeinflussen! Beginnen Sie jetzt!
Erschienen im Magazin Meile bewegt im Juni 2021
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