Folge deinem Herzen! Aber wie?

Eine Betrachtung

 

Folge deinem Herzen, lautet der Satz, der heutzutage in keinem Ratgeber fehlen darf. Doch was bedeutet es eigentlich, seinem Herzen zu folgen? Wie kann man die Botschaft des Herzens hören und verstehen?

 

Folgt man dem Herzen, wenn man darauf achtet, dass man sich wohlfühlt bei dem, was man gerade tut? Oder folgt man ihm, wenn man sein Gegenüber mit Licht und Liebe segnet, wenn man das Leben anlächelt und für alles, was sich zeigt, dankbar ist? Folgt man seinem Herzen, wenn man nur das tut, woran man Freude hat und alles meidet, was anstrengend und kräftezehrend ist? Ist man auf der Spur des Herzens unterwegs, wenn man alles, auch das Unbequeme umarmt und annimmt, wie es ist?

 

Wie spricht das Herz zu uns? Sagt es z.B.: Hilf Menschen in der Not oder beschenke dein Gegenüber mit kleinen Aufmerksamkeiten und Zuwendungen. Oder sagt es ganz konkret: Tue nur das, was sich gut anfühlt! Denn das, was sich nicht gut anfühlt, entspringt dem Verstand. Spricht das Herz womöglich durch unsere Sehnsüchte und Träume und hält uns dazu an, nicht nur zu träumen, sondern auch unsere Träume zu leben? Fordert es uns regelrecht dazu auf, mit wildem Eifer voranzugehen und das, was wir uns wünschen, ohne Rücksicht auf Verluste umzusetzen?

 

Würde uns das Herz jemals in eine Situation hineinführen, in der es uns nicht behaglich ist? Schließlich ist es doch das Herz und das meint es doch gut mit uns, oder? Würde es uns dazu auffordern, den Blick auf unsere Schatten zu richten und uns selbst zu erforschen, auch dann, wenn wir vielleicht eine Phase erleben, in der nicht alles rosig daherkommt? Nein, so etwas macht das Herz nicht, oder? Schließlich ist es doch die positive Instanz im Spielfeld im Leben? Also ist der Weg des Herzens immer freudig, gut, heiter und blumig, oder? Spricht es in einem lieblichen Singsang zu uns und führt uns nur in Situationen und Begebenheiten, die uns zuträglich und angenehm sind?

 

Wo befindet sich denn eigentlich das Herz, das uns durch das Leben lenkt? Ist es ein Teil vom physischen Herzen, dort ganz tief drin oder ist es ein gesonderter Ort daneben? Was öffnet sich, wenn wir davon sprechen, unser Herz ganz weit zu machen? Und was passiert dort wirklich in unserer Brust? Bildet das Herz, das uns lenkt, mit dem physischen Herzen eine Einheit? Schlägt es mit ihm im Takt, kräftiger, aufgeregter und wilder, wenn wir eine herzbasierte Entscheidung treffen und ruhig und leise, wenn es zufrieden ist, mit dem, was wir beschlossen haben und umsetzen? Zieht es sich in unserer Brust zusammen, wenn wir den falschen Weg eingeschlagen haben? Wird es krank, wenn wir etwas tun, was ihm zuwider ist? Bekommen wir Herzstechen, Herzrasen, gar einen Infarkt, wenn wir komplett die Spur verloren haben?

 

Um uns den Antworten anzunähern, sollten wir uns zunächst einer noch zentralen Frage widmen. Einer Frage, die aus meiner Sicht allen anderen Fragen voransteht: Wer oder was lenkt meine Gedanken und mein Handeln?

 

Wenn wir Dinge tun, weil sie sich gut anfühlen, handeln wir unseren Emotionen entsprechend. Die Emotionen, die uns glauben machen, wir würden richtig entscheiden, basieren auf Erfahrungen, die wir mit positiven Gedanken und Gefühlen im Laufe unseres Lebens verknüpft haben. Deshalb werten wir sie als gut. So kann es sein, dass wir uns beim Essen von Schokolade gut fühlen und denken, Schokolade essen mache uns glücklich und wiederum daraus schließen, dass Schokolade gut für uns sei. Und vielleicht behaupten wir sogar, Schokolade sei gesund, denn schließlich fühlen wir uns gut, wenn wir sie uns auf der Zunge zergehen lassen. Ist das dann wirklich so oder verdrehen wir die Dinge so lange, bis sie passend für uns sind und wir eine Rechtfertigung gefunden haben, warum wir etwas tun oder lassen?

 

Wir glauben unserem Herzen zu folgen und folgen doch wohl eher unseren Gedanken und Gefühlen. Selbst wenn das, was wir tun, hilfreich und wertvoll für andere ist, sogar lobenswert und edel, so sollten wir uns dennoch fragen, wem unser Handeln dient. Natürlich kann es denen dienen, die wir mit unserer Hilfsbereitschaft und unserem Einsatz beschenken, doch wenn wir an dieser Stelle ehrlich mit uns selbst sind, profitieren wir auch davon. Vielleicht gibt es einen Anteil in uns, der noch auf der Suche nach Anerkennung ist, der gerne gesehen werden möchte und über den man positive und löbliche Worte verlieren soll. Vielleicht gibt es einen Teil, der gerne etwas für andere tut und doch im Umkehrschluss auf Wertschätzung und Zuneigung hofft. Auch da dürfen wir uns wieder die Frage stellen, was uns lenkt. Ist es nicht eher die Angst vor Ablehnung, die uns in dieser Weise handeln lässt? Wollen wir uns nicht gewogen machen, um dieser Angst nicht begegnen zu müssen und schieben stattdessen das Herz vor, dem wir folgen, damit wir nicht wirklich tief in uns hineinschauen müssen? Kann es nicht sogar eine Rechtfertigung sein zu behaupten, man handele aus dem Herzen heraus? Sogar insoweit, das wir mit dieser Behauptung von uns selbst ablenken möchten und anderen und vor allem uns selbst glauben machen möchten, dass wir aus dem Herzen heraus handeln, wir zu den Guten gehören und auf dem richtigen Weg sind?

 

Obwohl wir die Dinge nun schon aus mehreren Perspektiven beleuchtet haben, steht die Frage, was uns lenkt, noch immer im Raum.

 

Können wir überhaupt eine Entscheidung treffen, die nicht auf unseren Erfahrungen beruht, die auf unseren eigenen Gedanken und Gefühlen basiert? Können wir überhaupt herausfinden, was uns lenkt, wenn wir nur auf das vertrauen, was wir bereits erlebt und am eigenen Leibe erfahren haben? Und wo in alledem ist denn jetzt das Herz, dem wir doch folgen sollen?

 

Im Herzen wohnt die Liebe, heißt es. Über diese Aussage herrscht vermutlich weitestgehende Einigkeit. Schlussfolgernd daraus könnte man sagen, dass die Sprache des Herzens die Liebe ist. Eine Vielzahl von Menschen lassen sich von der Liebe leiten, vertrauen auf sie und folgen ihr. Wie würde die Liebe entscheiden, ist der Leitsatz, von dem sie sich durchs Leben führen lassen. Doch worauf basiert diese Liebe? Ist sie nicht auch ein Konstrukt aus Erfahrungen, Gefühlen und Gedanken? Ist es nicht die Suche nach Verbundenheit und Zugehörigkeit, die uns vorantreibt und uns doch die Schwelle der „Kalendersprüche“ oft nicht überschreiten lässt? Wann sind wir wirklich und wahrhaftig auf der Spur des Herzens und der Liebe unterwegs?

 

Herzhören

 

Wir werden die Antwort des Herzens nicht hören, solange wir unsere Ohren ins Außen richten und uns von schönen Worten und heiler Welt blenden lassen. Doch auch wenn wir nach Innen lauschen, sollten wir uns der Fallstricke gewahr sein, die uns immer auf die Spur des Verstandes – des ewig suchenden und wollenden Egos – führen.

 

Im Gegensatz zum Ego will das Herz nicht. Es ist. Es hat keine Meinung. Es bewertet nicht. Es tobt weder los, noch ist es vehement dagegen. Es urteilt nicht. Es lobt nicht. Es schiebt uns nicht in eine Richtung, es sagt uns nicht, was wir tun oder lassen sollen.

 

Das Herz ist ein Ort in uns, in dem alles und nichts zugleich ist. Es ist der Ort des inneren Friedens, der inneren Weisheit und der inneren Führung. Es ist ein Ort und ist auch keiner. Vielmehr ist im Herzen zu sein ein Zustand. Ein wertfreies, neutrales, beobachtendes Sein. Ein präsent sein in einem weiten offenen Raum, der alles umfängt und nichts beeinflusst.

 

Haben wir Fragen, so nehmen wir sie mit in diesen Raum – den Herzraum – hinein und lauschen in die Stille. Es bedarf Geduld und auch der Muße sich auf das Lauschen einzustellen, weder etwas hervorlocken zu wollen, noch etwas hineinzuinterpretieren. Irgendwann und es kann eine Weile dauern, wird eine Antwort in uns aufsteigen. Es ist eine Antwort, von der wir wissen, dass sie anderes ist als andere Antworten. Sie ist von Klarheit und Wahrhaftigkeit durchdrungen. Und doch ist dies ein kritischer Moment und auch hier dürfen wir achtsam schauen, besonders dann, wenn wir mit den Botschaften noch nicht so vertraut sind. Wir dürfen wir uns fragen, ob es nicht doch unser Verstand ist, der vorprescht, um den Prozess des stillen Harrens und Aufsteigenlassens abzukürzen. Ob nicht er es ist, der uns auf Wege lenkt, die mit verheißungsvollen Ausschmückungen verziert oder auf Pfade ziehen möchte, die wir bereits kennen, die ausgetreten und gewohnt sind.

 

Das, was aus dem Herzen aufsteigt, kann ungewohnt und neu sein. Wenn wir uns des Impulses gewahr werden und ihn annehmen, dann können wirkliche Veränderungen in uns anstehen. Wir erkennen die Wahrhaftigkeit der Botschaft daran, dass sie nicht unserem persönlichen Vorteil, sondern dem höchsten Wohle aller dient. Denn das Herz sucht niemals seinen eigenen Vorteil und auch nicht den Weg des geringsten Widerstandes. Wenn wir uns an dieser Stelle nicht sträuben oder gar Schmerz und Anstrengung vermeiden wollen, uns stattdessen den Impuls zu eigen machen, ihn zu uns nehmen und annehmen, dann begeben wir uns auf die Spur des Herzens. Es ist der Moment, in dem sich zeigt, wie bereit wir wirklich sind, uns dem Leben und somit der Führung des Herzens anzuvertrauen.

 

Das Herz spricht durch stilles Einverständnis. Es äußerst sich in einer fraglosen, unaufgeregten Haltung, in einem klaren Impuls, der sich in aller Stille und Einfachheit präsentiert. Der einfach so dasteht, der keiner Analyse und keiner Bewertung bedarf. Es ist, als würde sich eine Tür in uns öffnen, hinter der die wahren Beweggründe unseres Daseins wohnen und die sich zeigen, wenn in uns die Bereitschaft gereift ist, für uns selber einzustehen und uns vertrauensvoll dem Leben hinzugeben. Die Weisungen des Herzens basieren auf Liebe. Einer Liebe, deren Wirkung und Handlungswege wir nicht abschätzen und überblicken können. Einer Liebe, die weit über die personalisierte Liebe, die mit unseren positiven emotionalen Empfindungen verknüpft ist, hinausgeht. Es die Liebe ohne Bedingungen, auf der die Entscheidungen des Herzens reifen und ins Leben getragen werden.

 

Der Ausdruck des Herzens ist die Freude. Es ist eine tiefgründige Heiterkeit, von der die Impulse getragen werden. Obwohl sie freudvoll und leicht daherkommt, kann uns die Botschaft des Herzens an dunkle Stellen in unserem Inneren führen. Wenn wir uns hin anstatt abzuwenden, einlassen anstatt zu fliehen, kann das, was sich dort präsentiert, ohne Verzagen, ohne Zweifel und ohne Kampf in uns hervorzurufen, seine Wirkung entfalten. Wenn wir der Kraft des Herzens vertrauen, dann wissen wir, dass das, was sich zeigt, immer uns selbst und dem Leben dient. Dass es einfach dran ist und nur dann schwierig und anstrengend wird, wenn wir uns innerlich dagegen wehren.

 

Die Sehnsucht des Herzens ist die Einheit. Es ist ein sanftes Streben, dass uns stetig voranschiebt alle Trennung hinter uns zu lassen. Das uns auffordert, uns selbst loszulassen und die Wünsche und Bedürfnisse des Verstandes zu erkennen und nach und nach unwichtiger werden zu lassen. Doch das Herz drängt nicht. In ihm wohnt die Geduld der Unendlichkeit, denn es weiß, um den Prozess der Bewusstwerdung. Und so ist es ein stiller, friedvoller, neutraler Beobachter, der alles sein lässt, wie es ist.

 

Das Herz ist unser Freund, Begleiter und Wegweiser. Es ist Kontaktstelle der Verbundenheit, der Schlüssel zur Weisheit, der Ort der Einheit und die Schnittstelle zum ewigen Bewusstsein.

 

Wir folgen ihm, wenn wir uns bedingungslos und schonungslos auf uns selbst, das Leben und unsere innere Führung einlassen.

 

 

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